• Interview

Die politische Ökonomie der Ungleichheit

23/07/2025

Interview mit Florian Fastenrath

Deutschsprachige Version 

photo of Florian Fastenrath standing in the conference hall of the College

 

Die sozioökonomische Ungleichheit in Deutschland nimmt zu. Dennoch steht Umverteilung nicht oben auf der politischen Agenda. Als neu berufener Juniorprofessor untersucht Florian Fastenrath, wie Ungleichheit öffentlich wahrgenommen und in der Politik aufgegriffen wird. Seine Forschungsgruppe „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ analysiert, welche Faktoren progressive Maßnahmen behindern oder begünstigen. Im Interview erklärt er, wie seine Forschung zu einem tieferen Verständnis von Fragen sozialer Gerechtigkeit beitragen kann und wie er interdisziplinär auch mit den Geisteswissenschaften zusammenarbeiten will.

Womit beschäftigt sich die vergleichende politische Ökonomie? 

Die vergleichende politische Ökonomie bettet wirtschaftliche Fragestellungen stets in ihren sozialen und politischen Kontext ein. Sie berücksichtigt daher nicht nur wirtschaftliche Mechanismen, sondern auch Machtverhältnisse, Interessen und gesellschaftliche Konflikte – etwa in der Steuer- und Sozialpolitik oder in den Arbeitsbeziehungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der politischen Dimension tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen wie wachsender sozialer Ungleichheit, Finanzialisierung, Globalisierung, dem Aufstieg populistischer Bewegungen – und zunehmend auch den polit-ökonomischen Dimensionen des Klimawandels.   

Sie werden eine Forschungsgruppe zu vergleichender politischer Ökonomie mit einem thematischen Schwerpunkt auf Ungleichheit aufbauen. Mit welchen Forschungsfragen werden Sie sich befassen, und was möchten Sie im Rahmen der Forschungsgruppe konkret umsetzen?

Am College möchte ich untersuchen, wie politische und gesellschaftliche Akteure mit sozioökonomischer Ungleichheit umgehen. Mit meiner Forschungsgruppe möchte ich herausfinden, welche Faktoren eine stärker umverteilende Politik behindern oder fördern, und warum bestimmte gesellschaftliche Gruppen unterrepräsentiert bleiben. Wir analysieren zum einen, wie sich Umverteilungsvorstellungen und die öffentliche Meinung zu Ungleichheit herausbilden, und zum anderen, wie politische Parteien diese wahrnehmen und verarbeiten. Empirisch verbinden wir qualitative Interviews mit politischen Akteuren, Fokusgruppen mit Bürger*innen verschiedener sozialer Lagen, Fallstudien und Umfragedaten sowie Medien- und Diskursanalysen.

"Selbst unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen mit einem eindeutigen Interesse an Umverteilung unterstützen nicht automatisch progressive Maßnahmen wie eine scharf gestellte Erbschaftssteuer. Eine zentrale Erklärung liegt in normativ aufgeladenen Deutungsmustern, die öffentliche Zustimmung unterminieren."

Gesellschaftliche Ungleichheit und Fragen von Verteilungsgerechtigkeit stehen auch in den Medien immer wieder im Fokus. Wie kann Ihre Forschung zu einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge und zur öffentlichen Diskussion dieser Themen beitragen?

In den letzten zehn Jahren hat ökonomische Ungleichheit zwar an Sichtbarkeit gewonnen, doch im politischen Wettbewerb – insbesondere in Wahlkämpfen – bleibt das Thema meist randständig. Meine Forschung zielt darauf, die Gründe zu verstehen. Dabei zeigt sich unter anderem, dass selbst unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen mit einem eindeutigen materiellen Interesse an Umverteilung progressive Maßnahmen wie beispielsweise eine scharf gestellte Erbschaftssteuer nicht automatisch unterstützen. Eine zentrale Erklärung liegt in normativ aufgeladenen Deutungsmustern, die öffentliche Zustimmung unterminieren. Ich analysiere, wie diese Deutungsmuster entstehen, sich verbreiten und politisch Wirkung entfalten. Mich interessiert, welche Akteure sie (re-)produzieren, wie sie politische Entscheidungsprozesse prägen und welche gesellschaftlichen Gruppen dadurch mobilisiert oder entpolitisiert werden.

Inwieweit arbeiten Sie interdisziplinär? Welche Forschungsfelder berührt Ihre Arbeit an Schnittstellen?

Gerade im Bereich Ungleichheit haben Sozialwissenschaftler*innen in den letzten zwei Jahrzehnten das klassische Silodenken überwunden und disziplinübergreifende Forschung vorangetrieben. Meine Arbeit bewegt sich vor allem an der Schnittstelle von Politikwissenschaft, Sozioökonomie und Soziologie – also innerhalb der Sozialwissenschaften. Innerhalb der Geisteswissenschaften bieten Politische Philosophie, Geschichts- und Kommunikationswissenschaften wertvolle Perspektiven. Hier möchte ich gerne noch intensiver kooperieren, um komplexe Fragen von Gerechtigkeit, dominanten Diskursen und sozialem Wandel besser zu verstehen.

Was macht es für Sie interessant, am College der Universitätsallianz Ruhr zu forschen?

Am College reizt mich besonders die Kombination aus interdisziplinärer Zusammenarbeit und der Möglichkeit der thematischen Fokussierung auf gesellschaftlich relevante Herausforderungen wie Ungleichheit. Hier kann ich nicht nur meine eigenen Forschungsideen weiterentwickeln, sondern auch von den vielfältigen Perspektiven und Kompetenzen der Kolleg*innen profitieren. Das College bietet ideale Bedingungen für innovative Projekte, die Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie und Geisteswissenschaften verbinden.

Mit welchen Instituten und Einrichtungen innerhalb der Universitätsallianz Ruhr möchten Sie sich austauschen oder zusammenarbeiten? Wo sehen Sie Potenzial für disziplinenübergreifende Zusammenarbeit?

Die Universitätsallianz Ruhr bietet hervorragende Kooperationsmöglichkeiten. Ich freue mich besonders auf die enge Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen, das soziale Ungleichheit als einen seiner zentralen thematischen Schwerpunkte begreift. Hier bin ich in der Lehre eingebunden und wirke aktiv im Promotionskolleg „Die Politische Ökonomie der sozial-ökologischen Transformation“ mit.

Darüber hinaus eröffnen sich vielversprechende Anknüpfungspunkte am Institut für Politikwissenschaft der UDE sowie spannende interdisziplinäre Potenziale mit den Geisteswissenschaften – insbesondere durch eine geplante Zusammenarbeit mit der Projektgruppe „The Deserving Rich“ an der TU Dortmund unter Leitung von Prof. Christian Neuhäuser (politische Philosophie), die die öffentliche Wahrnehmung und Legitimation von Reichtum untersucht. Ebenfalls beabsichtige ich Austausch und Kooperation mit dem Historischen Institut der UDE und mit laufenden Projekten am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) – etwa zu Kapitalismus und solidarischer Ökonomie.

Welche internationalen Aktivitäten planen Sie? Wie möchten Sie dazu beitragen, die internationale Vernetzung der UA Ruhr in den Sozial- und Geisteswissenschaften voranzubringen?

Ich plane eine Workshop-Reihe mit internationaler Beteiligung, die sich sowohl mit aktuellen Fragestellungen der vergleichenden politischen Ökonomie als auch mit methodischen Herausforderungen in der Ungleichheitsforschung auseinandersetzt. Beispielsweise plane ich, den Austausch mit dem Psychology of Inequality Lab an der University of California, Irvine in den USA zu vertiefen, mit dem ich im Rahmen einer interdisziplinären Kooperation sozialpsychologische und politökonomische Perspektiven auf Einstellungsforschung und Umverteilungswahrnehmungen zusammenbringen möchte.

Was treibt Sie an in Ihrer Forschung, was ist Ihre Motivation?

Mich treibt das Bedürfnis an, gesellschaftliche Herausforderungen systematisch in ihren Ursachen und Wirkungszusammenhängen besser zu verstehen. Das schließt für mich ein, methodisch neue Wege zu gehen – insbesondere dann, wenn klassische Ansätze zentrale Aspekte gesellschaftlicher Realität nicht adäquat erfassen. In meiner Forschungsgruppe verfolgen wir diese Haltung konsequent: Wir arbeiten mit methodischer Offenheit, analytischer Präzision und einem ausgeprägten Interesse an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Dabei ist es uns wichtig, Anschluss an aktuelle Debatten zu finden – durch fundierte Analysen mit klarer empirischer Basis und theoretischer Reflexion.
 

Read the English version of this interview

portrait photo of Florian Fastenrath © © UDE / A. Wälischmiller

Prof. Florian Fastenrath

Junior Professor | Research Group 'Political Economy of Inequality'

Phone: +49 201 183 65 62

E-mail:

Florian Fastenrath is Junior Professor of Comparative Political Economy, with a research focus on inequality. His work sits at the crossroads of public policy analysis, comparative and international political economy, and political sociology. He is particularly interested in how socio-economic and political inequalities intersect, especially in the context of political representation.

His research explores both sides of the representation process: how citizens form policy priorities and preferences, and how political elites perceive and respond to public demands through policymaking. He is committed to methodological innovation, blending qualitative approaches such as elite interviews, focus groups, and deliberative polling to better understand public opinion and political responsiveness.

His broader research interests include the politics of inequality and redistribution, public finance, and financialisation. His work has been published in journals such as Comparative Political Studies, Journal of European Public Policy, and Review of International Political Economy.

Before taking on his current role, Florian Fastenrath held postdoctoral positions at the universities of Bonn (2023–25) and Duisburg-Essen (2020–23), and research positions at the University of Cologne, where he completed his PhD in 2019. He also served as Substitute Professor for Policy Analysis and Political Economy at RPTU Kaiserslautern-Landau (2024–25).