• Interview

Die politische Dimension von Nachhaltigkeit, global gesehen

21/05/2025

Interview mit Matthias Kranke

Deutschsprachige Version

Matthias Kranke leaning against a bannister infront of a large wooden door

 

Die ökologische Krise ist ein globales Phänomen – ihre Auswirkungen machen nicht an Staatsgrenzen halt. Matthias Kranke betrachtet globale Nachhaltigkeitsfragen aus politischer Perspektive. Im April 2025 hat er eine Juniorprofessur am College for Social Sciences and Humanities angetreten. Im Interview erfahren wir, wie seine Forschungsgruppe "Global Sustainability Governance" Prozesse der politischen Steuerung im Hinblick auf soziale, ökonomische und ökologische Fragen untersuchen will – und was ihn antreibt.

Was war der bisherige Fokus Ihrer Forschung, wo waren Sie vor Ihrer Berufung auf die Professur tätig?

Ich habe zuletzt – nach verschiedenen Stationen im In- und Ausland – als Postdoktorand an der Universität Kassel geforscht und gelehrt. Dort hat sich auch mein großes Interesse am Themenkomplex Nachhaltigkeit und Postwachstum, das ich nun hier in der Universitätsallianz Ruhr weiter vertiefen möchte, erst so richtig entwickelt.

Inwieweit arbeiten Sie interdisziplinär, welche Forschungsfelder berührt Ihre Arbeit im Kern und ggf. an Schnittstellen?

Ich glaube, dass interdisziplinäres Arbeiten in den allermeisten Fällen alleine nicht gut funktioniert. Wenige Personen sind für sich genommen richtig interdisziplinär unterwegs. Also arbeite ich immer wieder mit Kolleg*innen zusammen, die aus anderen Feldern kommen, etwa Soziologie, ökologische Ökonomie oder Umweltpsychologie.

 

»Postwachstum bezeichnet eine Vielzahl von Ansätzen, die in Frage stellen, dass Nachhaltigkeit im Rahmen fortwährenden Wirtschaftswachstums erreicht werden kann. Die große Frage ist, wie diese Alternativen aussehen können.«

Sie werden eine Forschungsgruppe zum Themenfeld „Global Sustainability Governance“ aufbauen. Auf welche Aspekte und Forschungsfragen möchten Sie sich konzentrieren, und was möchten Sie im Rahmen der Forschungsgruppe konkret umsetzen?

In der Forschungsgruppe werden wir uns theoretisch-konzeptionell sowie empirisch damit befassen, wie internationale Organisationen, zum Beispiel die Europäische Umweltagentur oder die Vereinten Nationen, mit Postwachstumsideen umgehen. Halten diese Organisationen am Wachstumsparadigma fest? Oder setzen sie sich kritisch damit auseinander? Was folgt ggf. aus einer solchen kritischen Auseinandersetzung mit der Wachstumsidee? Die konkreten Forschungsfragen müssen wir noch im Team erarbeiten. Aber auch dann würde ich sie nicht preisgeben, weil die Gruppen, die wir durch Interviews und ggf. ethnographische Forschung untersuchen möchten, unsere zentrale Forschungsfrage nicht kennen dürfen. Sonst könnten wir sie in ihren Antworten bzw. ihrem Verhalten zu sehr beeinflussen.

Können Sie kurz für Laien erläutern, was unter „Global Sustainability Governance“ und „Postwachstum“ zu verstehen ist?

„Global Sustainability Governance“ bedeutet, dass ich mich für Prozesse und Dynamiken des Regierens („Governance“) sozial-ökonomisch-ökologischer Fragen („Sustainability“) jenseits nationalstaatlicher Grenzen („Global“) interessiere. „Postwachstum“ bezeichnet dabei eine Vielzahl von Ansätzen, die in Frage stellen, dass Nachhaltigkeit im Rahmen fortwährenden Wirtschaftswachstums erreicht werden kann, wie meist behauptet oder stillschweigend angenommen wird. Die große Frage ist hier, wie diese Alternativen aussehen können und wo sie bereits in irgendeiner Form politisch an Bedeutung gewonnen haben.

Was macht es für Sie interessant, am College der Universitätsallianz Ruhr zu forschen?

Ganz klar die Interdisziplinarität! Ich bin recht „undiszipliniert“, weil mich oft Themen interessieren, bei denen disziplinäre Grenzen eher hinderlich sind.

 

Mit welchen Instituten und Einrichtungen innerhalb der Universitätsallianz Ruhr möchten Sie sich austauschen oder zusammenarbeiten?

Aktuell kenne ich natürlich noch gar nicht alle Institute und Einrichtungen der UA Ruhr. Aber jenseits des College und des Instituts für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen als meinen beiden Arbeitsstandorten bestehen bereits engere Kontakte mit Kolleg*innen am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF). Zudem befinde ich mich als Teil der an der Universität Duisburg-Essen angesiedelten Fellowgruppe Nachhaltigkeit und Demokratie im aktiven Austausch mit vielen anderen Forschenden innerhalb der UA Ruhr.

Welche internationalen Aktivitäten planen Sie? Wie möchten Sie dazu beitragen, die internationale Vernetzung der UA Ruhr in den Sozial- und Geisteswissenschaften voranzubringen?

Ich arbeite schon seit Jahren regelmäßig mit Kolleg*innen aus dem Ausland zusammen. Ein Beispiel ist ein jüngst erschienenes Forum zum Thema Postwachstum in den Internationalen Beziehungen im Review of International Studies, das ich gemeinsam mit Jacob Hasselbalch von der Copenhagen Business School (CBS) herausgegeben habe (Einleitung). Die Beiträge dafür stammen von Forschenden, die an Institutionen in Asien, Europa und Nord- sowie Südamerika arbeiten. Diese Internationalität möchte ich weiter vorantreiben, indem ich mit solchen Kolleg*innen Forschungsprojekte anschiebe, aus denen wiederum gemeinsame Publikationen entstehen werden. Darüber hinaus werden wir ein jährliche Workshop-Reihe zum Thema Nachhaltigkeit und Postwachstum am College etablieren, die Forschende sowohl der UA Ruhr als auch anderer Institutionen im In- und Ausland zusammenbringen wird.

Was treibt Sie an in Ihrer Forschung, was ist Ihre Motivation?

Ich möchte dazu beitragen, dass wir globale Nachhaltigkeitsfragen als explizit politisch verstehen. Und idealerweise möchte ich eines Tages sagen können, dass wir in einer wirklich nachhaltigen Welt leben. Davon sind wir aktuell leider meilenweit entfernt. Fatalerweise deutet vieles darauf hin, dass wir uns immer noch in die falsche Richtung bewegen. Das ist Motivation genug. Als Politikwissenschaftler finde ich spannend, danach zu fragen, was anders sein könnte oder hätte sein können. Dafür müssen wir in der Analyse gesellschaftlicher Prozesse des Wandels oder der Stabilität immer wieder nach möglichen Alternativen – also nach dem Politischen – Ausschau halten.

Was hat Sie in Ihrem wissenschaftlichen Werdegang besonders geprägt oder beeinflusst?

Der regelmäßige Austausch mit verschiedenen Lehrenden und Kolleg*innen an zahlreichen Einrichtungen im In- und Ausland hat mich stark geprägt. Viele interessante Dinge lernen wir schließlich eher durch Gespräche oder die Zusammenarbeit mit anderen als durch die einsame Lektüre eines Textes. Zumindest ist das bei mir so.

 

English version of this interview

portrait of Matthias Kranke © © UDE/Fabian Strauch

Prof. Matthias Kranke

Junior Professor | Research Group 'Global Sustainability Governance'

Phone: +49 201 183 65 67

E-mail:

Matthias Kranke has been Junior Professor of Global Sustainability Governance since April 2025. His current research focuses on the global governance of intersecting social, economic and ecological issues. Within this scope, Matthias pays particular attention to the tensions between the norm of economic growth and the goal of socio-ecological sustainability, asking how much traction ideas beyond growth have gained in key sites of global governance. Trained in International Relations and International Political Economy, he regularly draws on insights from other fields, such as ecological economics, (organisational) sociology or sustainability studies. His interdisciplinary orientation is reflected in collaborations with colleagues working in fields as diverse as environmental psychology, forest and environmental policy, history, and social policy. When conducting empirical research, Matthias primarily uses qualitative methods, especially document analysis, (elite) interviews and participant observation. He has accordingly published in leading disciplinary and interdisciplinary journals, including Environmental Innovation and Societal Transitions, European Journal of International Relations, Global Policy, Global Society, International Affairs, New Political Economy, Review of International Political Economy and Review of International Studies.

Before his appointment to the College, Matthias Kranke worked as a postdoctoral researcher at the University of Kassel and at the University of Warwick, UK, where he completed his PhD in 2017, and Freie Universität Berlin. He was also a Fellow at the Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) and a Senior Research Fellow at the Centre for Global Cooperation Research.